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Tagebuchaufzeichnungen - 16. Tag

Donnerstag, 7. September 2006  -  Verwunschene Alleen

Von Zlotow (Flatow) nach Debrzno (Preußisch Friedland), 23 Kilometer

Bin schon gegen sieben Uhr auf den Beinen. Nach dem Frühstück im Hotel "Dom Polski" gehe ich ins Rathaus, in dem sich die Touristeninformation von Zlotow (Flatow) befindet. Leider sind die Amtsleute noch nicht erschienen. Ist ja auch Nebensaison.

Hirsch aus dem Stadtwappen von Zlotow (Flatow)

Dafür treffe ich heute Vormittag einen Herrn in den Räumen der deutschen Minderheit an. Klemens Mrela ist der Vorsitzende der Ortsgruppe Flatow der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in Schneidemühl. Gern ist er zu einem Gespräch bereit. Die Bezeichung "Ortsgruppe" irritiert mich allerdings. Hätte man da nicht einen anderen Namen finden können?

Die deutsche Minderheit hat in der Region etwa 200 Mitglieder, erzählt Mrela. Seine Gesellschaft organisiert kulturelle Veranstaltungen, Ausflüge für Kinder und Alte, sowie Feiern zu den Festtagen. Den Raum, in dem Mrela mich empfängt, bezahlt die Stadt Zlotow. Sie haben besonders gute Kontakte zu ihrem tüchtigen Bürgermeister, betont Mrela. Unterstützung gibt es auch vom Dachverband der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen, der in Opole (Oppeln) sitzt. Außerdem erhalten sie Gelder von der Europäischen Union.

Erst gegen 10.30 Uhr nehme ich meinen Rucksack auf die Schultern und begebe mich auf den Weg Richtung Debrzno (Preußisch Friedland). Inzwischen ist es warm geworden. Die Sonne scheint. Wieder kann ich im T-Shirt wandern. Zunächst laufe ich durch verwunschene Alleen. Die Felder und Wiesen beidseitig der Straße werden durch Knicks begrenzt. Birken und Kiefern kleiner Waldstücke verbreiten einen würzigen Duft.

Verwunschene Alleen

Heute ist der Autoverkehr erträglich. Allerdings verschwinden bald die Alleebäume und die Staße führt über Kilometer geradeaus und verblasst schließlich im Dunst am Horizont. Die Unendlichkeit des Weges ist nicht einfach zu ertragen. Immer wieder verliere ich mich in Gedanken: Wann bin ich am Horizont, der so fern, so unerreichbar erscheint?

Aber ich habe ausreichend Kraft und meine Füße sind willig. Probleme macht mir allerdings mein rechter Unterarm, der immer wieder anschwillt und schmerzt. Wohl eine chronische Entzündung. Bevor ich heute Morgen startete, habe ich in einem Schuhgeschäft Turnschuhe anprobiert, um eine Alternative zu meinen polnischen Billig-Sandalen zu haben. Doch schon bei der Anprobe merkte ich, dass neue Schuhe Druckstellen an den Füßen bringen würden.

Ansonsten muss ich sagen: Polen, jedenfalls diese Region, ist kein vollkommenes Wanderparadies. Insbesondere dann nicht, wenn man wie ich ein konkretes Ziel vor Augen hat, das man in begrenzter Frist erreichen will. Zwar verlaufen zahlreiche Forst- und Wanderwege links und rechts der Hauptstraße. Ihnen zu folgen hieße jedoch, vom rechten Weg abzuweichen, sich zu verlaufen und womöglich Zeit zu verlieren.

Meine Mittagspause verbringe ich am Waldesrand mit dem Fotografieren von Pilzen. Erstmals auf meiner Wanderschaft hält ein Pkw neben mir. Ein seriös wirkender Mercedes-Fahrer, etwa 50 Jahre alt, bietet mir an, mich in seinem Fahrzeug mitzunehmen. Ich winke ab, halte dann zum Abschied meinen Daumen nach oben, um zu signaliseren, dass ich seine Offerte zu schätzen weiß. Wahrscheinlich hatte er Mitleid mit mir.

Aus dem Pilz-Paradies Polen

Noch immer ist ein Ende der Straße nicht abzusehen. Sie führt durch ein Naturschutzgebiet. Beidseitig des Straßenrands stehen hoch gewachsene gradstämmige Kiefern, dazwischen kleine Birken. Die Landschaft ist schön, aber nicht spektakulär: eine Mischung aus Weser-Emsgebiet und Holsteinischer Schweiz. Wieder stoppt ein Fahrzeug neben mir. Diesmal ist es ein junger Mann, so um die 20 Jahre alt, der mir den Platz auf dem Beifahrersitz seines kleinen Fiats anbietet. Ich mache ihm deutlich, dass ich die Strecke weiterhin zu Fuß laufen möchte.

Gegen 15.30 Uhr erreiche ich die Gemeinde Lipka, ehemals Linde. Im Stadtwappen führt der Ort ein Lindenblatt. Am Ortseingang grüßt eine zerzauste Birke. Es ist windig geworden. Ich habe Appetit bekommen. Zu meiner Überraschung endecke ich eine kleine Schänke. Ein junges Mädchen serviert mir eine wie so oft hervorragende Gemüsesuppe und dazu einen Kaffee; türkischer Art, wie ich gelernt habe. Ich bemerke ihre Freude über den in ihren Augen exotischen Gast in Lipka.

Stadtwappen von Lipka (Linde), ein Lindenblatt

Gegen 17 Uhr erreiche ich Debrzno, ehemals Preußisch Friedland. Die Hauptstraße knickt vor einer verwitterten Backsteinruine ab und führt steil zum Marktplatz an. Der Aufstieg kostet Kraft. Ich werde müde und suche eine Unterkunft. Einen jungen Mann, der gemächlich einen Kinderwagen vor sich schiebt, frage ich nach einer Herberge. Verständnislos schüttelt er seinen Kopf und lässt mich wortlos stehen. Die Zeit drängt. Es ziehen bedrohlich-düstere Wolken auf und bald wird es dunkel.

Am Marktplatz erkundige ich mich in einem Haushaltswarengeschäft nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Ich habe Glück. Die Verkäuferin antwortet auf Deutsch. Sie schlägt vor, den Weg zum See zu nehmen. Oberhalb des Gewässers vermiete eine Frau Privatzimmer.


Privatpension bei Debrzno (Preußisch Friedland)

Nach 20 Minuten finde ich das Haus. Im dem Moment, als ich die Gartenpforte öffne, beginnt es zu regnen. Ein heftiges Gewitter setzt ein. Für 30 Zloty überlässt mir die Gastgeberin ein Zimmer. Zum Schlafen ist es noch zu früh.

Nach einem Duschbad gehe ich hinunter zum See. Am Ufer befindet sich eine Gastwirtschaft. Von dort führt ein Steg ins Wasser. Ich setzte mich auf die überdachte Terrasse und bestelle eine Pizza (8 Zloty) und ein Bier (1/2 Liter 3 Zloty). Düstere Wolken, schwarz wie das Wasser des Sees, ziehen auf. Wieder setzt Regen ein. Der See fängt an zu brodeln. Schwere Regentropfen erzeugen vieltausendfach kleine Fontänen auf der Wasseroberfläche.

Düstere Wolken, schwarz wie das Wasser

Die Gäste am Nebentisch haben keinen Blick für das Naturschauspiel. Oma, Mutter und Kind essen gemeinsam aus einer Tüte Pommes frites. Besoners die Kleine erfreut sich daran. So etwas Leckeres scheint es nicht jeden Tag zu geben. Nach einer Weile überlassen die beiden Erwachsenen der Kleinen ihren Anteil. Die Kinderaugen leuchten. Jetzt hat sie die Tüte für sich allein. Fast schäme ich mich meiner riesigen Pizza. Scheue mich aber, den Dreien am Nebentisch ein Stück davon anzubieten.

Gegen 22 Uhr liege ich im Bett.

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Carsten Voigt

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